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„Dann geh ich ohne dich!“: Was ein Kind fühlt, das von Eltern stehengelassen wird

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Von: Judith Braun

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Wenn Eltern ihren Kindern drohen, sie stehenzulassen, dann ist das ein Spiel mit ihrer Angst. Laut einer Expertin kann das schlimme Folgen haben.

Kennen Sie die Situation? Sie holen Ihr Kind nachmittags von der Kita oder dem Kindergarten ab und möchten einfach nur noch nach Hause. Anfangs läuft Ihr Kind noch mit und erzählt angeregt von seinen Erlebnissen im Kindergarten. Doch plötzlich schlägt die Stimmung um und es möchte partout nicht weiterlaufen. Oder Sie sind gemeinsam auf dem Spielplatz und als Sie Ihr Kind zum Gehen auffordern, protestiert es und will auf den Arm genommen werden.

Meistens läuft es in solch einer Situation darauf hinaus, dass die Mutter ihr Kind nicht auf den Arm nehmen möchte und immer wieder wiederholt, dass es sehr wohl laufen kann. Macht das Kind keinerlei Anstalten, zu kooperieren, folgt häufig nach längeren Hin und Her die leere Drohung der Eltern: „Dann gehe ich eben ohne dich nach Hause.“ Was dieser Satz bei kleinen Kindern anrichten kann, erklärt nun eine Expertin.

„Dann geh ich ohne dich!“: Was ein Kind fühlt, das von Eltern stehen gelassen wird

Ein Junge sitzt alleine weinend auf der Straße.
Eltern sollen laut einer Expertin ihren Kindern niemals drohen, sie zurückzulassen – auch wenn sie es niemals machen würden. © Cavan Images/IMAGO

Während die Mutter oder der Vater also dem Kind drohen, es stehenzulassen, strecken viele Kinder ihre Arme nach dem Elternteil aus und brechen in Tränen oder Schreie aus. Aus gutem Grund, schließlich haben die Kleinen – während die Drohung für Eltern nur Mittel ist, ihr Kind zum Gehorchen zu zwingen – wirklich Angst, dass ihre Eltern ohne sie gehen. „Die Kinder haben Bindungsstress. Zurückgelassen zu werden, ist eine Urangst von Kindern. Deshalb tun sie alles, um auf den Arm genommen zu werden. Das ist für sie der sicherste Ort“, erklärt Nicola Schmidt, Bestsellerautorin und Gründerin der Artgerecht GmbH, gegenüber Focus Online.

Meistens nehmen die Eltern ihr Kind dann wütend auf den Arm und schimpfen ihr Kind: „Musst du immer so einen Aufstand machen? Du kannst doch auch alleine laufen!“ Der Grund, warum Kinder in solchen Situationen auf diese Art reagieren, liegt laut Schmidt nicht daran, dass sie ihre Eltern tyrannisieren wollen. Stattdessen sind sie einfach nur müde. Dass es zu solchen Machtspielchen kommt, liegt dann daran, dass Eltern ihre Kinder missverstehen. Deshalb rät die Expertin, auch mal die Perspektive des Kindes einzunehmen.

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Expertin rät Eltern, Perspektive des Kindes einzunehmen

Denn während die Eltern nur sehen, dass das Kind eine Minute zuvor noch genügend Energie zum Spielen hatte und jetzt in ihren Augen „einen Aufstand macht“, erleben Kinder die Situation vollkommen anders. Laut Schmidt stehen die Kleinen in dieser Situation unter Stress und Angst. Dieser Zustand aktiviert das Bindungssystem. Kinder fürchten dadurch, die Bindung zur Bezugsperson zu verlieren und zurückgelassen zu werden. Deshalb wollen sie auf den Arm von Mutter oder Vater.

Aus evolutionärer Sicht ist dieses Verhalten von Kindern überlebenswichtig. Schließlich tragen Kinder diese Urangst als Teil ihres evolutionären Erbes in sich. Laut Schmidt sei es bei Jäger- und Sammlervölkern tatsächlich vorgekommen, dass Kinder schon mal zurückgelassen wurden und somit kaum eine Überlebenschance hatten. „Und deshalb wissen sie: Der sicherste Platz ist auf dem Arm eines vertrauten Erwachsenen. Und sie versuchen alles, um dorthin zu kommen“, so Schmidt.

Erziehung mit schlimmen Folgen: Wenn Eltern mit Angst ihrer Kinder spielen

Weil Eltern aber oftmals nur ein schreiendes Kind sehen, das offenbar gegen sie arbeitet, drohen sie ihm, es zurückzulassen. Damit spielen sie allerdings mit der Urangst ihrer Kinder und setzen sie unter Stress. Gleichzeitig werden die Eltern auch noch unglaubwürdig, weil am Ende schließlich doch keiner sein Kind stehen lässt. Diese Erziehung mit der Angst ist ein Machtspiel und kann beim Kind schlimme Schäden anrichten.

Noch schlimmer ist es, „wenn man versucht, das Kind zu brechen – es in diesem Fall also so lange weinen lässt, bis es aus lauter Verzweiflung hinterherläuft.“ Dies kann für ein Kind eine frühe Verlusterfahrung sein. Schmidt rät Eltern deshalb, selbst die Verantwortung zu übernehmen: “Entweder, sie gehen so früh vom Spielplatz weg, dass das Kind noch nicht zu müde zum Laufen ist. Oder sie entscheiden sich, länger zu bleiben – müssen das Kind dann aber auch tragen.“

Dieser Beitrag beinhaltet lediglich allgemeine Informationen zum jeweiligen Gesundheitsthema und dient damit nicht der Selbstdiagnose, -behandlung oder -medikation. Er ersetzt keinesfalls den Arztbesuch. Individuelle Fragen zu Krankheitsbildern dürfen von unseren Redakteurinnen und Redakteuren leider nicht beantwortet werden.

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