Affenpocken in Deutschland: Experte hat Angst, „dass sich Virus bei uns festsetzen könnte“
Steht uns mit den Affenpocken eine neue Endemie in Europa bevor? Virologe Gerd Sutter befürchtet, dass das Virus heimisch werden könnte.
München – Seit den jüngsten Ausbrüchen der Affenpocken in verschiedenen Ländern weltweit beschäftigt das Virus derzeit Virologen und Forscher. Zwar geht man davon aus, dass uns nach Corona nicht die nächste Pandemie bevorsteht, dennoch raten Experten zur Wachsamkeit. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (55, SPD) kündigt unlängst die Lieferung von 40.000 Impfdosen gegen Affenpocken an. Trotz des im Vergleich zu Corona harmlosen Virus muss nach Einschätzung des Virologen Dr. Gerd Sutter alles dafür getan werden, damit eine große Pocken-Impfkampagne nicht notwendig wird.
Affenpocken in Deutschland: Experte hat Angst, „dass sich Virus bei uns festsetzen könnte“

Sutter ist Virologe an der Ludwig-Maximilians-Universität und kennt sich wie kein anderer mit den sogenannten Zoonosen aus: Das sind Krankheiten, die zwischen Tieren und Menschen übertragen werden. Zu den Zoonosen zählt auch das Affenpockenvirus, dessen Symptome mit denen einer Grippe leicht zu verwechseln sind. Weil er zu den Pockenviren forscht, ist er laut dem „Spiegel“ „einer der besten Pockenvirenkenner in Deutschland“. Gegenüber dem Magazin schätzt er unter anderem die Gefahr für eine Endemie ein und erklärt dabei, dass das Affenpockenvirus genauso wie die seit den 80er-Jahren ausgerotteten Menschenpocken zur Gattung der sogeannten Orthopockenviren gehört. Während Menschenpocken allerdings auf einen Wirt spezialisiert sind, kommen Affenpocken mit ganz vielen Wirten zurecht – einschließlich des Menschen.
Im Interview betont er, dass das Affenpockenvirus weniger gefährlich sei als die Menschenpocken. Die Sterblichkeit liegt bei der sogenannten zentralafrikanischen Klade des Virus, die vor allem in der Demokratischen Republik Kongo grassiert, bei rund zehn Prozent. Kinder haben allerdings meist einen schwereren Verlauf. Bei der sich aktuell in mehreren Ländern auf der Welt, darunter auch in Deutschland, verbreiteten westafrikanischen Klade geht man jedoch von einer Sterblichkeit von nur einem Prozent aus. „In reichen Staaten mit guten Gesundheitssystemen wie Deutschland ist es wahrscheinlich noch einmal deutlich weniger. Doch auch bei den westafrikanischen Affenpocken kann es bei Immunsupprimierten durchaus zu schweren Verläufen kommen“, meint Sutter. Die allgemeine Pockenimpfung, die bis 1975 in der Bundesrepublik Pflicht war und 1982 in der DDR aufgehoben wurde, soll zudem auch vor dem Affenpockenvirus schützen.
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Affenpocken in Deutschland: Wie ansteckend das Virus ist, ist derzeit „die große Unbekannte“
Wie ansteckend das Affenpockenvirus tatsächlich aktuell ist, ist laut Sutter noch nicht bekannt. „Eigentlich dachten wir immer, Affenpocken würden sich nur schlecht von Mensch zu Mensch übertragen“, so der Wissenschaftler. Zwar findet die Übertragung über Haut- und Schleimhautkontakt und per Tröpfcheninfektion statt, bisher kennt man aus Afrika allerdings nur sehr kurze Infektketten. Nach maximal sechs Infizierten läuft sich das Virus tot. „Ob das jetzt allerdings bei dem großen internationalen Ausbruch auch so ist, ist die große Unbekannte“, meint Sutter.
Der Erreger geriet derzeit zufällig in Kontaktnetzwerke, in denen Männer mit anderen Männern Geschlechtsverkehr hatten. Deshalb finden wir laut dem Virologen eine neue epidemiologische Situation vor, in der sich überall Infektionsketten entwickeln können. Denn wenn das Virus plötzlich in einem neuen Umfeld auftaucht, kann sich auch die Epidemiologie einer Virusinfektion völlig ändern. „Wir müssen unbedingt herausfinden, was hier eigentlich gerade passiert. Dafür ist es entscheidend, die Übertragungswege besser zu verstehen und möglichst viele Kontaktpersonen der Infizierten zu finden, auch wenn das schwierig ist und wir wahrscheinlich nicht alle werden identifizieren können“, erklärt Sutter.
Affenpockenvirus in Deutschland: Experte schätzt Gefahr für Endemie ein
Seit 2017 zirkuliert die westafrikanische Klade in Nigeria laut dem Forscher kontinuierlich. Von dort wurde es auch schon durch Reisende in andere Teile der Welt wie USA, Singapur oder Israel gebracht. „Regelmäßig wurde in der Vergangenheit vor einer größeren Verbreitung der Affenpocken gewarnt. Aber es gab kaum Forschung“, meint Sutter und weiter: „Das ist jetzt reine Spekulation, aber ich halte es für möglich, dass sich das Affenpockenvirus, anders als man immer dachte, bei passenden Bedingungen auch über längere Zeit in einer Menschenpopulation halten kann.“
Auf die Frage, wie groß er die Gefahr einschätzt, dass das Affenpockenvirus in Europa heimisch und damit endemisch wird, antwortet er abschließend: „Um das noch einmal ganz klar zu sagen: Es wird ganz sicher keine neue Pandemie geben. Aber ich habe schon Angst, dass sich das Affenpockenvirus bei uns festsetzen könnte. Auch wenn es sich nicht um ein extrem gefährliches Virus handelt, will man das einfach nicht. Stellen Sie sich vor, was los wäre, wenn wir hier eine neue große Pocken-Impfkampagne machen müssten! Deshalb muss jetzt alles dafür getan werden, das zu verhindern.“
Dieser Beitrag beinhaltet lediglich allgemeine Informationen zum jeweiligen Gesundheitsthema und dient damit nicht der Selbstdiagnose, -behandlung oder -medikation. Er ersetzt keinesfalls den Arztbesuch. Individuelle Fragen zu Krankheitsbildern dürfen von unseren Redakteurinnen und Redakteuren leider nicht beantwortet werden.