Die Pille wird 60: Wir entlarven zehn populäre Mythen
Heute vor 60 Jahren kam die erste Verhütungstablette nach Deutschland. Millionen Frauen vertrauen bis heute drauf. Wir räumen mit einigen Mythen rund um die Pille auf:
Berlin – Die Feministin Alice Schwarzer nannte sie einmal einen „Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation der Frauen“. Denn bis zur Erfindung der Pille konnten Frauen die Entscheidung zur Verhütung nicht selbstständig treffen. Und obwohl sie seit Jahrzehnten Thema für viele Frauen ist, ranken sich noch viele Halb- und Unwahrheiten um die Pille.
Verhütungspille wird 60: Appetitanregung ist möglich
1. Die Pille macht dick: Die Gewichtszunahme ist eine der bekanntesten Nebenwirkung, von der Frauen häufig berichten. Aber auf die Mehrheit der Frauen, die mit der Pille verhüten, trifft das Studien zufolge nicht zu. Der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (dggg) zufolge kann es vorübergehend zu vermehrten Wassereinlagerungen kommen, das kann sich bei normalgewichtigen Frauen mit bis zu zwei oder drei Kilogramm auf der Waage bemerkbar machen. Das hängt allerdings von der Art der Pille ab. Das Gestagen in den Präparaten kann den Appetit anregen, was auch zur Gewichtszunahme führen kann.
2. Die Pille macht depressiv: In seltenen Fällen ist es der dggg zufolge möglich. Aber auch das Gegenteil kann eintreten: Manchmal profitieren Frauen, die unter dem Prämenstruellen Syndrom leiden, also den „Tagen vor den Tagen“, davon. Sie fühlen sich besser, wenn sie die Pille nehmen. Da es sehr individuell von der jeweiligen Frau abhängt, ist eine gute Beratung beim Gynäkologen unverzichtbar.
Verhütungspille wird 60: Anfangs nur für verheiratete Frauen
3. Hormone sind Lustkiller: Immer wieder wird bestritten, dass die Pille zu einer Einschränkung der Libido führt. Die Studien dazu sind kontrovers. Schon länger ist bekannt, dass hormonelle Verhütungsmethoden die Libido beeinflussen können. Eine Studie der Universität Heidelberg hat dies bestätigt. Unter Leitung des Instituts für Frauengesundheit Baden-Württemberg wurde dazu die bislang größte Untersuchung initiiert. Mehr als tausend Medizinstudentinnen wurden dafür online befragt.
Fazit: Frauen, die mit der Pille verhüten, klagen häufiger über Probleme wie Unlust beim Geschlechtsverkehr als jene, die Kondome einsetzen. Allerdings spielen auch viele andere Ursachen wie die Partnerbeziehung, Umwelteinflüsse und Rauchen eine Rolle. Jede Verhütung mit Hormonen kann demnach zur Abnahme der Libido führen, doch das ist eine eher seltene Nebenwirkung. Mediziner betonen, dass im Gegensatz dazu auch die Probleme und Risiken, die eine Schwangerschaft für die betroffenen Frauen mit sich bringen würde, abgewogen werden sollten.
Die Geschichte der Pille im Schnelldurchgang:
- Am 1. Juni 1961 brachte das Berliner Pharmaunternehmen Schering mit „Anovlar“ die erste Pille auf den westdeutschen Markt.
- In der DDR folgte 1965 „Ovosiston“ von Jenapharm.
- Die weiß-grüne Packung „Anovlar“ gab es zunächst nur für verheiratete Frauen. Wer sie haben wollte, war auf den guten Willen des Arztes angewiesen.
- Mit der Pille war Geschlechtsverkehr endgültig nicht mehr an Fortpflanzung gebunden. Bevor es sie gab, litten viele Frauen, weil sie ungewollt schwanger wurden. Nach ihrer Einführung ist die Zahl der Abtreibungen zurückgegangen.
4. Schonfrist nach dem Absetzen: Wer mit der Pille aufhört, wird nicht gleich schwanger. Dieser Mythos ist falsch. Die Fertilität kann sogar erhöht sein, gerade unmittelbar nach dem Absetzen. Die Folge: Einige Frauen werden rasch schwanger.
5. Wer lange die Pille genommen hat, wird unfruchtbar oder nur schwer schwanger: Das stimmt nicht. Die Dauer der Pilleneinnahme spielt keine Rolle in Bezug auf die Fruchtbarkeit der Frau. Wer nach dem Absetzen nur schwer schwanger wird, hätte dieses Problem Experten zufolge auch schon früher gehabt. Eine lange Pilleneinnahme kann jedoch bedeuten, dass eine Frau sich in dem Alter befindet, in dem das Schwangerwerden prinzipiell schwieriger ist.
Verhütungspille wird 60: Thrombosegefahr und andere Risiken
6. Die Pille schadet der Gesundheit: Embolien und Thrombosen zählen zu den größten Risiken bei der Pilleneinnahme. Jeder Arzt und jede Ärztin muss auf die Gefahr hinweisen, auch wenn sie bei Patientinnen, die keine Vorbelastung haben, selten eintritt. Ohne Pilleneinnahme rechnet man mit etwa ein bis zwei Fällen pro 10.000 Frauen und Jahr, mit der Pille können es sechs bis zehn Fälle werden.
Liegen jedoch Vorbelastungen wie eine angeborene Gerinnungsstörung vor, kann das Risiko um mehr als das Zehnfache steigen. Gesichert ist zudem, dass das Risiko steigt, wenn die Dosis des Östrogens erhöht wird. In den 80er Jahren haben die Gesundheitsbehörden deshalb international festgelegt, dass es keine Pillen mehr mit mehr als 50 Mikrogramm Äthinylestradiol geben darf.
Verhütungspille wird 60: Vorsicht mit Psychopharmaka
7. Tees heben die Wirkung auf: In Bezug auf das Johanniskraut stimmt das. Dessen Verwendung kann die Wirkung der Pille einschränken*. Wechselwirkungen, die relevant sein können, sind immer im Beipackzettel der Pille aufgelistet. Dazu zählen auch bestimmte Antiepileptika und Psychopharmaka sowie spezielle Antibiotika. Wer diese Medikamente einnimmt, sollte zu anderen Verhütungsmitteln greifen. Nur unter bestimmten Vorsichtsmaßnahmen kann der Gynäkologe dennoch eine Verhütung mit Hormonen verordnen.
8. Die Pille macht eine größere Brust: Das stimmt Gynäkologen zufolge bedingt, denn dabei handelt es sich meist nur um Wassereinlagerungen, die wieder verschwinden, wenn sich der Köper an das Medikament gewöhnt hat.
Verhütungspille wird 60: Haarausfall oder Schönheitsbooster?
9. Einmal ist kein Mal, die Pille mal zu vergessen, ist nicht schlimm: Stimmt nicht, die Sicherheit der Pille kann verringert sein, vor allem zu Beginn der Einnahme. Ab Mitte der Packung wird es etwas weniger riskant. Aber darauf verlassen sollten sich Anwenderinnen, die damit verhüten möchten, lieber nicht.
10. Von der Pille fallen die Haare aus: Normalerweise nein, eigentlich ist die Pille gut für Haut und Haare. Gerade bei jungen Frauen wird sie oft wegen Akne verordnet und bei älteren Frauen kann der Haarausfall sogar zurückgehen, weil der eigene Hormonhaushalt durch die Pille begünstigt wird. Zum Haarausfall kann es bei sehr gestagenbetonten Pillen kommen. Der Grund: wenn die körpereigene Androgenproduktion relativ stark ist, zum Beispiel bei Frauen in den Wechseljahren, ist die Östrogenproduktion verringert. Mediziner empfehlen dann Pillen mit Gestagenen, die auch antiandrogene Wirkkomponenten haben.
Verhütungspille wird 60: Größter Konkurrent ist das Kondom
Pille und Kondom sind laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung heutzutage etwa gleich beliebt in Deutschland, schreibt die Presseagentur dpa. Beide liegen deutlich vor der Spirale, der Sterilisation und anderen Methoden. Fazit: Die Pille ist verlässlich, wenn sie korrekt angewendet wird und das Produkt zur Anwenderin passt. Es ist aber wichtig, die Nebenwirkungen abzuwägen. Vor Krankheiten, die beim Geschlechtsverkehr übertragen werden können,* schützt jedoch nur das Kondom. Die Pille für den Mann ist übrigens immer noch nicht in Sicht.
Noch mehr spannende Gesundheits-Themen finden Sie in unserem kostenlosen Newsletter, den Sie gleich hier abonnieren können. *Merkur.de und 24garten.de sind Angebote von IPPEN.MEDIA.
Dieser Beitrag beinhaltet lediglich allgemeine Informationen zum jeweiligen Gesundheitsthema und dient damit nicht der Selbstdiagnose, -behandlung oder -medikation. Er ersetzt keinesfalls den Arztbesuch. Individuelle Fragen zu Krankheitsbildern dürfen von unseren RedakteurInnen leider nicht beantwortet werden.