Emotionale Gewalt an Kindern: Täter sind oft liebevolle Eltern
Liebevolle Eltern üben oftmals unbewusst emotionale Gewalt an ihren Kindern aus. Eine Expertin warnt vor den Folgen und Warnzeichen.
München – Seelische oder emotionale Gewalt an Kindern zählt zu den unsichtbaren Formen von Gewalt. Sie findet Ausdruck in Worten und Gesten und äußert sich durch Bestrafung, Ausgrenzung, Demütigung, Vernachlässigung oder Liebesentzug. Da diese subtile Form von Gewalt keine sichtbaren Spuren bei den Opfern hinterlässt, zeigen sich die Auswirkungen meist auf andere Art und Weise. Auf welche Signale Eltern, Erziehungsberechtigte und Vertrauenspersonen deshalb achten sollten, weiß eine Expertin.
Bauchweh bei Kindern: Kann Zeichen für emotionale Gewalt sein, laut Expertin

Kinder verstehen und merken oftmals gar nicht, dass Eltern oder Erwachsene ihnen mit einem bestimmten Verhalten Gewalt antun. Gleichzeitig fehlt ihnen in einem gewissen Alter noch die Fähigkeit, ihre Gefühle auszudrücken. Umso wichtiger ist es deshalb, dass Eltern wachsam sind, genau hinschauen und auch ihr eigenes Verhalten reflektieren. Denn wie die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Anke Elisabeth Ballmann gegenüber „Focus Online“ erklärt, wird diese Form von Gewalt übersehen, „weil sie vielen Menschen unbekannt ist und zudem meist unbewusst ausgeübt wird.“ Es soll sich dabei um jene Art von Gewalt handeln, die „tagtäglich in fast jeder Familie stattfindet, am Essenstisch, beim Anziehen, beim Hausaufgaben machen.“
Emotionale Gewalt an Kindern: Täter sind meist liebevolle Eltern, die unbewusst handeln
Emotionale Gewalt drückt sich in Verhalten aus, das mitunter als „normale Erziehung“ verstanden wird, wie zum Beispiel in Anforderungen, Erwartungen und Strafen. Sie wird gegen die Bedürfnisse der Kinder durchgesetzt, „und zwar durchaus von liebevollen Eltern und pädagogischen Fachkräften in Kitas und Schulen, also von Menschen, die für Kinder nur das Beste wollen“, so Ballmann. Auch sogenannte Helikopter-Eltern wollen ihren Kindern oft nur das Beste und erziehen laut einem Experten dadurch verhaltensgestörte und verwöhnte Kinder heran.
Eltern und pädagogischen Fachkräften sei all das nicht bewusst, was sie selbst erlebt und nicht reflektiert haben und jetzt unzensiert an die Kinder weitergeben würden. Diskriminierung wegen ihres Alters erfahren Kinder beispielsweise durch den Satz: „Dafür bist du noch zu klein.“ Durch die Aussage „Stell dich nicht so an, das hat doch gar nicht weh getan!“ macht ein Kind laut der Expertin die Erfahrung, dass seine Gefühle nicht stimmen.
Zudem wird Ausgrenzung oftmals als Strafe benutzt. Wenn Kinder in den Augen ihrer Eltern etwas falsch gemacht haben, werden sie beispielsweise auf ihr Zimmer geschickt. „Ausgrenzung ist das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, es schmerzt zutiefst. In vielen Ohren klingt all das harmlos, weil es so üblich ist – mittlerweile weiß man aber, wenn man Kinder immer wieder diskriminiert, bloßstellt und sie ausgrenzt, entstehen Glaubenssätze, die sich negativ auf die emotionale Gesundheit auswirken“, erklärt die Pädagogin. Da Kinder oftmals noch nicht über ihre Gefühle sprechen können, äußert sich das Erleben von seelischer Gewalt oftmals über den Körper und ihr Verhalten.
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Wut-Anfälle, Beißen oder Schmerzen: Kinder drücken Gefühle über Körper und Verhalten aus
„Wenn Kinder schwieriges erleben, können Rückzug, Stimmungslabiliät, Wortkargheit, Konzentrationsstörungen, Schulleistungsabfall, aber auch, je nach Alter und Umständen, Aggressionen wie Beißen, Schlagen, Gegenstände zerstören und heftige Wutanfälle ein Warnsignal sein“, warnt Ballmann vor den Verhaltensreaktionen. Körperlich kann es sich wiederum durch wiederkehrende Bauch-, Kopf- oder andere Schmerzen zeigen. „Deshalb sollte wiederkehrendes Unwohlsein als Warnsignal unbedingt ernst genommen werden!“, rät die Erziehungswissenschaftlerin. Andere Warnzeichen können außerdem Einkoten, Schwierigkeiten im Sozialverhalten, Fingernägel kauen, Ablehnen von Zärtlichkeiten, anhaltende Traurigkeit oder Ängste sein.
Emotionale Gewalt: Wann müssen Eltern Warnsignale ernst nehmen
Wenn Kinder nun jedoch Wut-Anfälle haben, bedeutet das nicht gleich, dass sie emotionaler Gewalt ausgesetzt sind und es sich um ihre Reaktion darauf handelt. Schließlich ist Wut laut Ballmann gut und gehört zur emotionalen Grundausstattung von Menschen. Als Warnsignal ist sie allerdings zu deuten, wenn Kinder beispielsweise andere Personen angreifen, sich selbst verletzen oder Dinge zerstören. Dann zeigt sich, dass etwas bei dem Kind aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Nun haben die Eltern die Aufgabe, zu erkennen, was der Auslöser für die Wut ist. „Ist das Kind überfordert, ist es reizüberflutet, hat es ein mangelndes Selbstwertgefühl oder ist es frustriert? All das können Signale für erlebte emotionale Gewalt sein“, weiß die Expertin. Wenn Kinder außerdem von einem Wut-Anfall in den nächsten schlittern und sich kaum beruhigen lassen oder es selbst können, dann rät Ballmann den Eltern, sich und ihrem Kind Unterstützung bei einem Kinder-Coach, Therapeuten oder einer Beratungsstelle zu holen. „Denn irgendwas stimmt dann garantiert nicht.“
Es gibt verschiedene Erziehungsstile und Elterntypen: unter anderem die Rasenmäher-, Helikopter- oder U-Boot-Eltern. Zu welchem Typ würden Sie sich zählen?
Dieser Beitrag beinhaltet lediglich allgemeine Informationen zum jeweiligen Gesundheitsthema und dient damit nicht der Selbstdiagnose, -behandlung oder -medikation. Er ersetzt keinesfalls den Arztbesuch. Individuelle Fragen zu Krankheitsbildern dürfen von unseren Redakteurinnen und Redakteuren leider nicht beantwortet werden.